Behinderung
Beschreibung
Als Behinderung bezeichnet man eine dauerhafte und gravierende Beeinträchtigung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Teilhabe bzw. Teilnahme einer Person. Verursacht wird diese durch die Wechselwirkung ungünstiger sozialer oder anderer Umweltfaktoren (Barrieren) und solcher Eigenschaften der Betroffenen, welche die Überwindung der Barrieren erschweren oder unmöglich machen.
Behinderung wird also nicht als „Krankheit“ betrachtet: Behindernd wirken in der Umwelt des behinderten Menschen sowohl Alltagsgegenstände und Einrichtungen – oder das Fehlen solcher Einrichtungen – (physikalische Faktoren) als auch die Einstellung anderer Menschen (soziale Faktoren). Gegenständliche Barrieren erhalten ihre behindernde Eigenschaft oft durch mangelnde Verbreitung von universellem Design, das nicht nur Bedürfnisse zahlenmäßig großer oder einflussreicher Bevölkerungsgruppen berücksichtigt.
Das Partizip "behindert", von dem die Personenbezeichnung "Behinderte" abgeleitet ist, kann also abhängig vom eigenen Blickwinkel oder Standpunkt benutzt werden:
als Vorgangspassiv (jemand wird behindert) aus Sicht der Gesellschaft („Soziales Modell von Behinderung“)
als Zustandspassiv (jemand ist behindert) aus medizinischer Sicht („Medizinisches Modell von Behinderung“)
Das niedersächsische Kultusministerium berücksichtigte 2017 die Sichtweisen beider Modelle, indem es feststellt: „Eine Behinderung wird […] als Ergebnis einer Wechselwirkung zwischen individueller Beeinträchtigung und Einschränkungen der gesellschaftlichen Teilhabe durch hemmende Faktoren oder Barrieren aufgefasst."
Kategorien & Ursachen
Der Wiener Universitätsprofessor Gottfried Biewer sieht in einem Lehrbuch fünf unterschiedliche Systematiken der Kategorisierung und Klassifizierung, die zu Differenzen beim begrifflichen Verständnis von Behinderung führen. So gäbe es medizinische Klassifikationen (ICD, DSM-5), pädagogische Behinderungsbegriffe, sonderpädagogische Kategorien, die Einteilung der OECD (disability, learning difficulties und disadvantages) und das bio-psychosoziale Modell (ICF) der WHO. Aktuell am gebräuchlichsten seien sonderpädagogische Zuschreibungen, bei denen Förderbedarfe bestimmten Entwicklungsbereichen zugeordnet werden (Sehen, Hören, geistige Entwicklung etc.). Das im Bildungsbereich verwendete Modell der OECD unterscheide zwischen Behinderungen mit organischen Ursachen (Kategorie A), Lernstörungen (Kategorie B) und Benachteiligungen aufgrund sprachlicher, sozialer und kultureller Gegebenheiten (Kategorie C). Im Unterschied zu diesen Kategorisierungssystemen stelle die ICF der WHO in erster Linie eine gemeinsame Sprache zur Beschreibung von Phänomenen dar.
Behinderung tritt nur im Zusammenspiel mehrerer ursächlicher Faktoren auf. Typische individuell-beeinträchtigende Merkmale eines Menschen („Schädigung“ oder „Beeinträchtigung“) sind fehlende oder veränderte Körperstrukturen sowie chronische körperliche und psychische Krankheiten. In Verbindung damit können Umweltfaktoren als physikalische Barrieren, zum Beispiel in Form von Bordsteinen, Engstellen, Treppen, nicht barrierefreie Internetseiten oder eine naturbelassene Umwelt zu einer Behinderung eines Menschen führen. Ebenso „behindernd“ sind gesellschaftliche Barrieren etwa in Ausbildung, Arbeitswelt, Freizeit und Kommunikation, wenn sie zum Ausschluss von Menschen mit abweichenden Merkmalen führen.
Zur Frage, ob bzw. inwieweit die oben genannten Faktoren als „diskriminierend“ bewertet werden bzw. bewertet werden müssten oder dürften, siehe Behindertenfeindlichkeit.
Definitionen von Behinderung, die nur auf eine einzige Ursache abzielen, gelten als überholt.
Grundsätzlich lassen sich Behinderungszusammenhänge grob in folgende Bereiche kategorisieren:
körperliche Behinderung
Sinnesbehinderung (Blindheit, Gehörlosigkeit, Schwerhörigkeit, Taubblindheit, Geruchlosigkeit)
Sprachbehinderung
psychische (seelische) Behinderung
Lernbehinderung
geistige Behinderung
Hinsichtlich der personenseitigen Ursachen lässt sich unterscheiden zwischen:
erworbenen:
durch perinatale (während der Geburt) entstandene Schäden
durch Krankheiten
durch körperliche Schädigungen, zum Beispiel Gewalteinwirkung, Unfall, Kriegsverletzung
durch Alterungsprozesse
bzw. angeborenen Behinderungen:
durch Vererbung bzw. chromosomal (z. B. Down-Syndrom) bedingt
durch pränatale (vor der Geburt entstandene) Schädigungen
Behinderungen können auch als Kombination aus mehreren Ursachen und Folgen auftreten (Mehrfachbehinderung, Schwerste Behinderung), oder weitere Behinderungen zur Folge haben, z. B. Kommunikationsbehinderung als Folge einer Hörbehinderung.
Einige Behinderungen werden gesellschaftlich überhaupt nicht als solche wahrgenommen, sondern gelten als Ausdruck mangelnder Selbstbeherrschung und Erziehung des Betroffenen. Dies gilt etwa für die ständigen Blähungen von Menschen, die nach einer Darmkrebsoperation die Bauhin-Klappe verloren haben oder die von CED betroffen sind. In einer vergleichbaren Situation befinden sich etwa die Betroffenen der Krankheit Morbus Tourette. Bei Behinderungen dieser Art sind soziale Behinderung und diskriminierende Ausgrenzung der Betroffenen besonders gravierend.
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